Berufung auf eine subjektive Unterlegenheit im Rahmen der Wirksamkeiskontrolle eines Ehevertrages

26. November 2020

1. [Zur Wirksamkeitskontrolle eines Ehevertrags bei behaupteter subjektiver Unterlegenheit im Zeitpunkt der notariellen Beurkundung].

2. Der Verzicht auf Krankheitsunterhalt kann auch im Rahmen der Ausübungskontrolle nicht auf einen Ausgleich ehebedingter Nachteile angepasst
werden, wenn bei der notariellen Beurkundung ausdrücklich ein bestimmtes und den Ehegatten bekanntes Risiko ausgeschlossen und dadurch
von ihm übernommen wird.

 

OLG Celle, Beschl. v. 7.8.2019                                – 21 WF 121/19

 

I. Der Fall
[Sachverhalt bei Abschluss der notariellen Vereinbarung hinsichtlich des Bestehens und der einseitigen Ausnutzung einer Zwangslage der Antragstellerin, einer sozialen bzw. wirtschaftlichen Abhängigkeit oder einer intellektuellen Unterlegenheit einseitig ausgenutzt hat, um zu einer evident einseitigen Lastenverteilung der Scheidungsfolgen in der notariellen Vereinbarung zu gelangen.]
Die Beteiligten schlossen in 4/2017 einen Ehevertrag, im Zuge dessen sie wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt, auch wegen Krankheit, verzichteten. Sie sind Eltern eines gemeinsamen Kindes, das im Zeitpunkt des Abschlusses des Ehevertrages zehn Jahre alt war.
Zum Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 1570 Abs. 2 BGB trägt die Antragstellerin nicht vor. Sie behauptet unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Diplom-Psychologin G. vom 25.6.2018 eine mittelgradige bis schwere Depression sowie Angst- und Panikattacken, unter denen sie seit der im Frühjahr 2015 erfolgten Trennung leidet. Außerdem beschrieb die Antragstellerin gegenüber der Psychologin, jahrelange anhaltende Übergriffe des Antragsgegners, erniedrigende Schikane und erhebliche Bedrohungen im Vorfeld der Beurkundung. Sie trägt vor, infolge dieser psychischen Situation dem Abschluss der notariellen Vereinbarung nichts habe entgegen setzen können und krankheitsbedingt trotz anwaltlicher Vertretung nicht in der Lage gewesen sei, ihre Interessen sachgerecht dauerhaft zu vertreten.
Die Antragstellerin beruft sich nunmehr auf die Unwirksamkeit des notariell beurkundeten Ehevertrages und begehrt vom Antragsgegner die Zahlung nachehelichen Unterhalts wegen Krankheit.

II. Die Entscheidung
Das OLG Celle hält die zulässige Beschwerde für unbegründet. Der wechselseitige Verzicht auf nachehelichen Unterhalt führe nach dem Vorbringen
der Antragstellerin nicht zur Sittenwidrigkeit der Regelungen, für deren Beurteilung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in 4/2017 abzustellen sei.

Dies beruhe maßgeblich darauf, dass die Voraussetzungen für eine Betreuungsbedürftigkeit des gemeinsamen – damals zehnjährigen – Sohnes J., die einen Anspruch aus § 1570 Abs. 2 BGB zu rechtfertigen vermag, nicht dargetan seien. Zwar könne angesichts des Alters des Sohnes zum Zeitpunkt  des Vertragsschlusses noch ein (potentieller) Betreuungsbedarf bestanden haben. Modifikationen der Altersgrenzen für die Betreuung eines Kindes würden jedoch in der Regel keine einseitige Benachteiligung darstellen, wenn der dreijährige Basisunterhalt des § 1570 Abs. 1 BGB unberührt
bleibe. Vor diesem Hintergrund sei ein in der Praxis häufig auflösend bedingter Unterhaltsverzicht bei Geburt eines gemeinsamen Kindes bis zum 6. Lebensjahr desjüngsten Kindes in der Regel nicht zu beanstanden.
Auch wenn die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren Atteste der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. sowie des Facharztes für Innere Medizin M. vorgelegt habe, die aktuell ihre Arbeitsunfähigkeit ab 7/2018 bescheinigten, führe dies nicht dazu, dass der Verzicht auf Krankheitsunterhalt ab 4/2017 eine unzulässige Benachteiligung der Antragstellerin darstelle. Zum einen werde von der Ärztin und Psychotherapeutin Dr. B. eine „hohe Beanspruchung durch Beruf, Haushalt, Kinderumsorgung und die kranke Mutter“ hervorgehoben, zugleich aber auch darauf hingewiesen, dass die
Antragstellerin seit 4/5/2017 als Arzthelferin im MVZ D. gearbeitet hatte. Zum anderen könnten die Eheleute nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowohl ihnen bekannte als auch unbekannte Krankheitsrisiken für die Zeit nach der Ehescheidung von einer Unterhaltsverpflichtung ausnehmen.
Auch wenn der Krankheitsunterhalt zum Kernbereich der Scheidungsfolgen zähle, begegne dessen Ausschluss nach den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs keinen Bedenken, wenn und weil bei Vertragsschluss nicht konkret absehbar sei, ob, wann und unter welchen wirtschaftlichen Gegebenheiten ein Ehegatte wegen Krankheit unterhaltsbedürftig werden könne. Anhaltspunkte für einen hiervon in
Erwägung zu ziehenden Ausnahmefall habe die Antragstellerin nicht dargetan. Weiter führt das OLG Celle aus, dass zwar in der später zutage getretenen Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin eine wesentliche Abweichung von gedachten Verlauf, wie sie die Beteiligten bei Vertragsschluss zugrunde gelegen habe, gesehen werden könne. Da die Ausübungskontrolle nach § 242 BGB jedoch auch mit den Grundsätzen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) vergleichbar sei, stelle sich ein später realisierendes Risiko, dass die Vertragsparteien bei Abschluss
ihrer Vereinbarung kannten und bewusst vom Risikobereich eines Beteiligten ausgenommen hätten, keine unzumutbare Rechtsfolge für den Fall dar, dass sich dieses Risiko zu einem späteren Zeitpunkt realisiert. Eine ausdrücklich vertraglich vereinbarte Übernahme eines bestimmten und klar abgrenzbaren Risikos schließe regelmäßig die Heranziehung der Rechte aus § 313 Abs. 1 BGB und eine spätere Anpassung des Vertragsinhaltes aus.

Die Antragstellerin habe sich seit der Trennung im Jahr 2015 durchgehend in psychologischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung befunden, sodass ihr die möglichen Folgen einer – zeitweise wohl auch schweren – Depression für ihre Arbeitsfähigkeit grundsätzlich bekannt gewesen sein bzw. gewesen sein müssten. Dies gelte in gleicher Weise für die sie bei Abschluss des Ehevertrages beratende Rechtsanwältin.
Wenn die Antragstellerin in Kenntnis ihrer bestehenden Erkrankung und zum Zeitpunkt der Beurkundung fortdauernden Behandlung auf Unterhalt für den Krankheitsfall verzichte, könne sie zumindest aus diesem Grund den Antragsgegner auch nicht im Rahmen der Ausübungskontrolle in Höhe eines auszugleichenden ehebedingten Nachteils in Anspruch nehmen. Auch der vom Senat erwogene Umstand, dass die Antragstellerin bei Abschluss der notariellen Vereinbarung in 4/2017 einer halbschichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und hieraus Erwerbseinkünfte von rund 930 EUR monatlich erzielt habe, könne keine abweichende Beurteilung rechtfertigen, selbst wenn die Beteiligten bei Vertragsschluss davon ausgegangen sein sollten, dass die Antragstellerin zu einem späteren Zeitpunkt, wenn eine Betreuungsbedürftigkeit der Kinder in keiner Weise mehr erforderlich wäre, signifikant höhere Einkünfte würde erzielen können.

Schließlich ergebe sich auch aus den vom Senat beigezogenen Akten zum Trennungsunterhalts- und Scheidungsverfahren keine hiervon abweichenden Anhaltspunkte. In dem im Dezember 2015 eingeleiteten Verfahren auf Kindes- und Trennungsunterhalt hätte die Antragstellerin für sich monatlichen Unterhalt von 711 EUR ab 11/2015 geltend gemacht.

In diesem Zusammenhang hätten sich die Beteiligten Anfang 2016 einvernehmlich auf die Durchführung eines Güterichterverfahrens verständigt. Im Rahmen des Güterichtertermins hätten die Beteiligten bereits erwogen, die Verbindlichkeiten aus der Überziehung des gemeinschaftlichen Girokontos bei der Postbank H. sowie für weitere Darlehen verbunden mit einer Schuldhaftentlassung in der Weise zu verrechnen, dass der Antragsgegner die Immobilien zu Alleineigentum übernehme (bzw. behalte) und er „dann aber nicht mehr verpflichtet (wäre), Getrenntlebensunterhalt oder Ehegatten-unterhalt zu zahlen.“ Da es sich hierbei nur um ein vorläufiges Ergebnis gehandelt hätte, dessen Umsetzung mit den Banken noch geklärt werden hätte müssen, habe eine abschließende Regelung nicht erfolgen können. Mit Schriftsatz der (dortigen) Antragstellerin habe ihre Verfahrensbevollmächtigte mitgeteilt, dass die Beteiligten derzeit noch über die Höhe des Zugewinnausgleichsbetrages verhandelten
und möglichst eine Gesamtlösung der Folgesachen angestrebt werden würde. Schriftsätzlich hätten die Beteiligten sodann über ihre jeweiligen Verfahrensbevollmächtigten übereinstimmend mitgeteilt, dass die Beteiligten kurz vor einer endgültigen Einigung stünden, die sodann dazu geführt habe, dass die Antragstellerin ihren Antrag auf Trennungsunterhalt in der Hauptsache für erledigt erklärt hätte.

Auch in dem, in 7/2016 eingeleiteten Scheidungsverfahren hätten der Verfahrensbevollmächtigte des (dortigen) Antragsgegners schriftsätzlich mitgeteilt, dass die Sache entscheidungsreif sei, weil sich die Beteiligten über die Scheidungsfolgen im Wesentlichen einig geworden seien. Zum Termin der mündlichen Verhandlung habe der Antragsgegner eine Kopie der notariellen Vereinbarung vorgelegt. Die in diesem Termin anwesende und anwaltlich vertretene Antragstellerin hätte dabei nicht erklärt, dass sie durch die Regelungen der notariellen Vereinbarung stark benachteiligt worden sei. In diesem Termin sei nach Anhörung der Beteiligten die Ehe geschieden worden und nach Rechtsmittelverzicht sogleich rechtskräftig geworden. In beiden Verfahren hätte sich die Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt darauf berufen, dass sie im Rahmen der laufenden Verhandlungen über den Inhalt des Ehevertrages von dem Antragsgegner unter Druck gesetzt worden sei oder sich dessen Wunsch nach Abschluss einer solchen Vereinbarung nicht hätte widersetzen können.
Zwar hätte die Antragstellerin kurz nach der Trennung der Beteiligten in 5/2015 einen Antrag auf Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz mit der Folge gestellt, dass solche im Beschluss des Amtsgerichts im Wege einstweiliger Anordnung befristet bis zum zweiten 20.11.2015 erlassen worden sei, ohne dass der Antragsgegner sich hiergegen gewendet hätte. In der Folgezeit habe die Antragstellerin weiteren gerichtlichen Schutz vor Übergriffen des Antragsgegners jedoch nicht mehr beantragt. Dass sie ihre eigenen Interessen trotz anwaltlicher Beratung und Begleitung in
beiden Verfahren nicht hinreichend hätte wahren können, sei nach alledem für den Senat nicht ersichtlich.