EuGH:gerichtl. Zuständigkeit Entscheidung über Scheidungsantrag – Bestimmung des “gewöhnlichen Aufenthalts”

24. Februar 2022

Ein Ehegatte kann seinen gewöhnlichen Aufenthalt trotz geteiltem Aufenthalt in zwei Ländern nur in einem Land haben. Mangels einer Definition des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“ in der Brüssel IIa-Verordnung oder eines ausdrücklichen Verweises in diesem Zusammenhang auf das Recht der Mitgliedstaaten führt der Gerichtshof aus, dass dieser Begriff autonom und einheitlich auszulegen ist.
Ein Ehegatte, der sich als Antragsteller auf die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Brüssel IIa-Verordnung beruft, muss zwingend seinen gewöhnlichen Aufenthalt in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem des früheren gemeinsamen Aufenthalts der Ehegatten verlegt haben. Er muss mithin den Willen zum Ausdruck gebracht haben, den gewöhnlichen Mittelpunkt
seiner Lebensinteressen in diesem anderen Mitgliedstaat zu errichten und nachgewiesen haben, dass seine Anwesenheit in diesem Mitgliedstaat hinreichend dauerhaft ist. In diesem Zusammenhang betont der Gerichtshof die besonderen Umstände bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eines Ehegatten. Beschließt ein Ehegatte, sich wegen der Ehekrise in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, steht es ihm mithin frei, soziale und familiäre Verbindungen im Mitgliedstaat des früheren gemeinsamen Aufenthalts der Ehegatten zu behalten. Außerdem ist das Umfeld eines Erwachsenen vielfältiger als das eines Kindes und besteht aus einem breiteren Spektrum von Aktivitäten und mannigfaltigen Interessen. Es kann nicht verlangt werden, dass sich diese Interessen auf das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats konzentrieren.
Ein Ehegatte kann zwar im gleichen Zeitraum an mehreren Orten einen Aufenthalt haben, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt nur einen einzigen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Brüssel IIa-Verordnung. Verbringt ein Ehegatte sein Leben in zwei Mitgliedstaaten, sind daher allein die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich dieser gewöhnliche Aufenthalt befindet, für die Entscheidung über den
Antrag auf Auflösung der Ehe zuständig. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem dieses Gericht liegt, im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Brüssel IIa-Verordnung dem Ort entspricht, an den der Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt verlegt hat.

 

Az C-289/20 IB                                                                         Urteil vom 25.11.2021