Hälftiger Unterhaltsfreibetrag im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe beiBetreuung eines Kindes im paritätischen Wechselmodell

7. Juni 2022

Im Falle der Betreuung eines Kindes im paritätischen Wechselmodell sind
vom Einkommen eines um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Elternteils
ein hälftiger Unterhaltsfreibetrag im Sinne von § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m.
§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 lit. b ZPO und der tatsächlich für das Kind gezahlte
Barunterhalt abzusetzen.
BGH, Beschl. v. 19.1.2022 – XII ZB 276/21


I. Der Fall
Die Rechtsbeschwerde betrifft die Frage, in welcher Höhe im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe
ein Unterhaltsfreibetrag für ein Kind zu berücksichtigen ist, wenn es von seinen Eltern im paritätischen Wechselmodell betreut wird.
Der Antragsteller (Beteiligter zu 1) und die Antragsgegnerin (Beteiligte zu 2) sind die Eltern des in 04/2011 geborenen Kindes D. Das Kind wird von den Eltern im paritätischen Wechselmodell betreut. Der Antragsteller zahlt für das Kind einen monatlichen Barunterhalt von 50 EUR. Das Amtsgericht hatte dem Antragsteller für ein Sorgerechtsverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt, ihm einen Rechtsanwalt beigeordnet und monatliche Ratenzahlungen von 207 EUR auf die Verfahrenskosten angeordnet.
Dabei hat es mit Blick auf das Kind vom Einkommen des Antragstellers nur den von ihm gezahlten Barunterhalt abgesetzt. Einen zusätzlichen Unterhaltsfreibetrag für das Kind hatte es nicht in Abzug gebracht.
Hiergegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er unter anderem die Absetzung eines monatlichen Unterhaltsfreibetrags für das Kind in Höhe von 340 EUR geltend gemacht hat. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde teilweise dahingehend abgeholfen, dass es die zuvor übersehene Sozialversicherung von 149 EUR vom Einkommen abgezogen und für das Kind einen hälftigen Unterhaltsfreibetrag von 170 EUR berücksichtigt und die monatliche Ratenzahlung daher auf 47 EUR reduziert hat.


II. Die Entscheidung
Der BGH bescheidet der Rechtsbeschwerde in der Sache Erfolg zu. Er führt folgendes aus:
Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Beschwerdegericht vom Einkommen des Antragstellers für dessen unterhaltsberechtigtes Kind rechtsfehlerhaft den vollen Unterhaltsfreibetrag nach § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO (im Folgenden: Kinderfreibetrag) abgesetzt hat. Richtigerweise hätte lediglich der hälftige Kinderfreibetrag in Abzug gebracht werden dürfen.

  1. Im Fall des paritätischen Wechselmodells ist vom Einkommen eines um Verfahrenskostenhilfe
    nachsuchenden Elternteils (im Folgenden: Bedürftiger), der für sein unterhaltsberechtigtes Kind – wie hier – Barunterhalt leistet, neben dem tatsächlich gezahlten Barunterhalt ein hälftiger Kinderfreibetrag abzusetzen. Der Wortlaut der Regelungen in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b und Satz 9 ZPO stehen dem nicht entgegen, weil er dem Fall des paritätischen Wechselmodells nicht gerecht wird. § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO ist vielmehr dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift im Fall des paritätischen Wechselmodells neben der Berücksichtigung einer tatsächlich
    gezahlten Geldrente einen zusätzlichen Abzug des Freibetrags gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO nicht ausschließt und die Freibetragsregelung ist dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass der Freibetrag nur in hälftiger Höhe vom Einkommedes Bedürftigen abzuziehen ist.


a) § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO steht im Fall des paritätischen Wechselmodells auch bei
tatsächlicher Zahlung einer Geldrente einem Abzug des Freibetrags gemäß § 115
Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO nicht entgegen.

aa) Nach § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO ist vom Einkommen
eines Bedürftigen bei Unterhaltsleistungen aufgrund gesetzlicher Unterhaltspflicht für jede unterhaltsberechtigte Person jeweils ein Betrag in Höhe des um 10 vom Hundert erhöhten Regelsatzes, der für eine Person ihres Alters vom Bund gemäß den Regelbedarfsstufen 3 bis 6 nach der Anlage zu § 28 SGB XII festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist, abzusetzen. Wird vom Bedürftigen jedoch für die unterhaltsberechtigte Person eine Geldrente gezahlt, so ist sie gemäß § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO anstelle des Freibetrags vom Einkommen des Bedürftigen abzusetzen, soweit
dies angemessen ist. Die Vorschrift des § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO verdrängt somit für den Fall der Zahlung von Barunterhalt die Regelung des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO. Etwas Anderes folgt nicht aus der in § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO enthaltenen Einschränkung „soweit dies angemessen ist“. Mit dieser wollte der Gesetzgeber lediglich eine Kürzung gezahlter Geldrenten, die den Unterhalts-freibetrag überschreiten, ermöglichen, nicht jedoch eine Berücksichtigung des Unterhaltsfreibetrags
neben dem gezahlten Barunterhalt.

bb) Bei dieser Betrachtung kann es jedoch für den Fall der Betreuung eines Kindes im paritätischen Wechselmodell nicht bewenden. Eine teleologische Auslegung des § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO ergibt vielmehr, dass diese Ausschlusswirkung im Fall des paritätischen Wechselmodells nicht greift.


(1) Die Vorschrift des § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO geht auf § 115 Abs. 3 ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen vom 9.12.1986 (BGBl I S. 2326) zurück, nachdem der Gesetzgeber die Normierung einer entsprechenden Vorschrift bereits im Rahmen des Gesetzes über die Prozesskostenhilfe vom 13.6.1980 erwogen, im Ergebnis aber noch abgelehnt hatte. Bei der Schaffung des § 115 Abs. 3 ZPO aF hatte der Gesetzgeber das Leitbild vor Augen, dass ein unterhaltsberechtigtes Kind entweder im Haushalt eines Bedürftigen lebt und von diesem Unterhalt in Form von „Naturalien“ erhält oder nicht in dessen Haushalt lebt und von diesem gegebenenfalls
Barunterhalt bezieht. Der erstgenannte Fall sollte über einen pauschalen Freibetrag für das Kind als Abzugsposition vom Einkommen eines Bedürftigen Berücksichtigung finden, der letztgenannte über eine Abzugsfähigkeit des tatsächlich gezahlten Unterhalts.
(2) Nicht in den Blick genommen wurde vom Gesetzgeber dabei jedoch die Mischform dieser beiden Alternativen, nämlich eine hälftige Betreuung eines Kindes im Haushalt beider Elternteile, in deren Folge es – wie hier – auch zu einer Kombination von Naturalunterhalt und gezahlter Geldrente kommen kann.
(3) Für den Fall des paritätischen Wechselmodells ist § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO entsprechend dem Zweck der Vorschrift dahingehend auszulegen, dass diese Ausschlusswirkung nicht greift. Die in § 115 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Abzugspositionen vom Einkommen eines Bedürftigen, mithin auch die Kinderfreibeträge, dienen nach dem Willen des Gesetzgebers dazu, zu vermeiden, dass das Existenzminimum eines Bedürftigen mit Raten auf die Prozesskosten belastet wird. Deshalb sollten nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auch die gesetzlichen Unterhaltspflichten eines Bedürftigen, die er in Form von Bar- oder Naturalunterhalt bedient, sachgerecht im Rahmen der Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe Berücksichtigung finden. Vor diesem Hintergrund hat es der Gesetzgeber für den von § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO geregelten Fall, dass ein Bedürftiger Barunterhalt für einen Unterhaltsberechtigten leistet, deshalb als sachgerecht angesehen, nur diesen von seinem Einkommen abzusetzen. Denn ein Bedürftiger, der für einen nicht in seinem Haushalt lebenden
Unterhaltsberechtigten Barunterhalt leistet, sollte nicht in den Genuss des häufig gegenüber dem Barunterhalt höheren Unterhaltsfreibetrags kommen. § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO liegt somit die gesetzgeberische Annahme zugrunde, dass ein Bedürftiger im Fall der Zahlung von Barunterhalt – mangels Aufnahme des Unterhaltsberechtigten in seinen Haushalt – keinen Naturalunterhalt (vgl. § 1612 Abs. 1 Satz 2 BGB) leistet.
Ausgehend davon hat die Vorschrift den Sinn und Zweck, die Abzüge vom Einkommen eines Bedürftigen im Fall der Zahlung von Barunterhalt deshalb auf diese Leistungen zu beschränken, weil vom Bedürftigen in diesem Fall keine darüber hinausgehenden Unterhaltsleistungen erbracht werden.


(4) Dieser Sinn und Zweck des § 115 Abs. 1 Satz 9 ZPO kommt jedoch im Fall des – vom Gesetzgeber insoweit nicht bedachten – Wechselmodells nicht zum Tragen. Denn in diesem Fall werden gerade trotz der Zahlung einer nur als Differenz der beiderseitigen Anteile der Eltern am Kindesunterhalt errechneten Geldrente weitere (erhebliche) Unterhaltsleistungen durch den Bedürftigen in Form von Naturalunterhalt erbracht, weil das Kind zur Hälfte auch in seinem Haushalt lebt. Die gesetz-geberische Intention, weshalb im Fall der Zahlung von Barunterhalt nur dieser als berücksich-tigungsfähig erachtet worden ist, greift beim Wechselmodell somit nicht ein. Infolgedessen würde
das Gesetz mit Blick auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers auch zu einer unbilligen Härte führen. Denn am Maßstab des einem Bedürftigen zu belassenden Existenzminimums stellt es keine sachgerechte Berücksichtigung seiner Pflicht zu Zahlung von Kindesunterhalt dar, wenn allein seine im Rahmen des Wechselmodells geleisteten Barunterhaltszahlungen von seinem Einkommen abgesetzt würden, nicht hingegen seine Kosten für den von ihm darüber hinaus erbrachten Naturalunterhalt.
Die Barunterhaltszahlungen richten sich im Wechselmodell nämlich lediglich auf die Unterhaltsspitze, die unter Berücksichtigung des geleisteten Naturalunterhalts noch verbleibt.
b) Für den Fall des paritätischen Wechselmodells hält es der Senat zudem für geboten, die Rechtsfolgen des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass der Kinderfreibetrag bei der gebotenen pauschalierenden Betrachtungsweise auf die Hälfte zu begrenzen ist.
aa) Grundsätzlich ist allerdings auch in diesem Fall der Wert des im Wechselmodell geleisteten Naturalunterhalts im Wege einer pauschalierenden Betrachtungsweise festzulegen. Mithin ist der geleistete Naturalunterhalt nicht auf der Grundlage tatsächlicher Kosten zu ermitteln oder zu schätzen. Davon ist auch das Beschwerdegericht im Ergebnis zutreffend ausgegangen.


bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ist es im Fall der nur hälftigen Betreuung eines Kindes im Wechselmodell jedoch nicht gerechtfertigt, den in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO vorgesehenen
(1) Der Kinderfreibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 lit. b ZPO knüpft inhaltlich an die in der Anlage zu § 28 SGB XII enthaltenen Regelsätze an. Er orientiert sich daher nach § 27a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB XII an dem gesamten notwendigen Lebensunterhalt eines Kindes i.S.v. § 27a Abs. 1 SGB XII, mithin denjenigen Kosten, die existenzsichernd für dessen vollständige Versorgung erforderlich sind. Dann aber gebietet eine Auslegung, die sich eng an das geltende Recht anlehnt, einem Be-dürftigen, der im Wechselmodell keine vollständige, sondern lediglich eine hälftige Versorgung seines Kindes übernimmt, auch nur den hälftigen Kinderfreibetrag zuzubilligen. Denn der bedürftige Elternteil ist während des Zeitraums, in dem das Kind beim anderen Elternteil versorgt wird, von Aufwendungen für das Kind entlastet, weil dessen Kosten der Lebensführung beim Wechselmodell vom jeweils betreuenden Elternteil in seiner Betreuungszeit allein getragen werden.
(2) Eine volle Berücksichtigung des Kinderfreibetrags je Elternteil – also im Ergebnis dessen Ver-dopplung – wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sich durch das Wechselmodell auch die Kosten des notwendigen Lebensunterhalts eines Kindes i.S.v. § 27a Abs. 1 SGB II (nahezu) verdoppeln würden. Dies ist aber nicht der Fall. Der notwendige Lebensunterhalt eines Kindes beinhaltet gemäß § 27a Abs. 1 SGB XII insbesondere die Kosten für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens, Unterkunft und Heizung sowie die erforderlichen
Hilfen für den Schulbesuch. Durch das Wechselmodell entstehen zwar in Teilbereichen dieses Lebensunterhalts Mehrkosten. Dies gilt vor allem für die Wohnkosten, weil diese im Wechselmodell, bei dem das Kind zwei Haushalte hat, für das Kind doppelt entstehen. Zu einer Verdopplung der Kosten insgesamt kommt es im Wechselmodell aber nicht.
Im Hinblick auf verbleibende Mehrkosten des Wechselmodells besteht kein Bedürfnis, diesen dadurch Rechnung zu tragen, dass der Kinderfreibetrag für jeden Elternteil voll angesetzt wird. Denn die Wohnmehrkosten (Unterkunft und Heizung) sind bereits nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO vom Einkommen eines Bedürftigen absetzbar (vgl. Staudinger/Dürbeck BGB [2019] § 1684 Rn 270). Sonstige Mehrkosten, die durch das Wechselmodell entstehen, können auf konkrete Darlegung und gegebenenfalls Glaubhaftmachung (vgl. § 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO) gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO i.V.m. § 21 Abs. 6 SGB II als Mehrbedarf oder gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO als
besondere Belastungen geltend gemacht werden.
(3) Für eine nur hälftige Berücksichtigung des Kinderfreibetrags sprechen auch sozialrechtliche Wertungen. Im Sozialrecht wird der Regelbedarf eines Kindes im Fall seiner zeitweisen Betreuung in unterschiedlichen Haushalten ebenfalls grundsätzlich nur einmal (und nicht doppelt) erfasst. Einigen sich die Eltern nämlich darauf, ein Kind abwechselnd im Haushalt des einen und des anderen zu versorgen, rechtfertigt dies sozialrechtlich die Annahme einer zweitweisen (temporären) Bedarfsgemeinschaft.
Für die Tage, an denen sich das Kind infolgedessen weniger als zwölf Stunden beim anderen Elternteil aufhält, besteht dort sodann kein Regelbedarf und der Sache nach auch kein Anspruch des Kindes auf sozialhilferechtliche Regelleistungen. Auch der sozialrechtliche Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 SGB II steht den Eltern im Fall des Wechselmodells nur hälftig zu. Verfahrenskostenhilfe ist letztlich ebenfalls eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege.
(4) Der von einem Bedürftigen im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe gehaltene Vortrag, hinsichtlich seines Kindes werde ein paritätisches Wechselmodell praktiziert, beinhaltet in tatsächlicher Hinsicht seine Erklärung, er erbringe für das Kind Betreuungs- bzw. Versorgungsleistungen lediglich im Umfang von 50 %. Denn die genau hälftige elterliche Betreuung eines Kindes ist gerade der Wesenskern dieses Betreuungsmodells.
Damit aber kann im Wechselmodell auch der Kinderfreibetrag inhaltlich von vornherein nur in diesem Umfang eingreifen. Denn der Ansatz eines Kinderfreibetrags setzt neben dem Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus, dass vom Bedürftigen die Betreuung bzw. der Naturalunterhalt auch tatsächlich erbracht wird.
Dies unterscheidet das Wechselmodell von der Betreuung eines Kindes im gemeinschaftlichen
elterlichen Haushalt. Denn in diesem Fall gibt es keine von vornherein feststehende Obergrenze der von den jeweiligen Elternteilen tatsächlich zu erbringenden Anteile an der Betreuung bzw. Versorgung ihres Kindes. Die einzelnen Anteile der Eltern hieran lassen sich in diesem Fall auch nicht exakt bestimmen. Mithin ist es in diesem Fall ohne weiteres möglich, dass ein Elternteil einen über die Hälfte bis hin zur vollständigen Betreuung und Versorgung hinausgehenden Anteil dieser Leistungen
gegenüber seinem Kind allein erbringt. Deshalb scheidet hier – im Gegensatz zum Wechselmodell – die Berücksichtigung eines vollen Kinderfreibetrags auch nicht aus tatsächlichen Gründen von vornherein aus. Vielmehr kommt – infolge der Typisierung der gesetzlichen Regelung – in diesem Fall der volle Ansatz eines Kinderfreibetrags für jeden Elternteil in Betracht.
(5) Im Übrigen würde gerade die Berücksichtigung eines vollen Kinderfreibetrags beim Wechsel-modell zu einer Besserstellung dieser Eltern gegenüber denjenigen führen, die ihr Kind im Residenzmodell betreuen. Denn während den Eltern im Wechselmodell jeweils der volle Kinder-freibetrag schon für die hälftige Versorgung ihres Kindes gewährt würde, stünde demjenigen Elternteil, der sein Kind im Residenzmodell betreut, der gesamte Kinderfreibetrag für die volle Versorgung seines Kindes zur Verfügung, auf den zudem im Ergebnis der vom anderen Elternteil tatsächlich geleistete und bei dessen Einkünften absetzbare Barunterhalt angerechnet wird.
Diese Besserstellung ließe sich auch nicht mit Mehrkosten des Wechselmodells rechtfertigen. Denn es kommt – wie ausgeführt – im Wechselmodell nicht zu einer Verdopplung der Kosten gegenüber denjenigen im Fall der Betreuung eines Kindes in nur einem Haushalt.
(6) Schließlich führt auch der vom Beschwerdegericht angeführte Aspekt, im Rahmen der Verfahrens-kostenhilfe sei nicht ohne Weiteres feststellbar, ob in tatsächlicher Hinsicht von einem Wechselmodell auszugehen sei, zu keiner anderen Beurteilung.
Denn der Umstand, dass die Berücksichtigung eines Kinderfreibetrags von tatsächlichen Vorfragen dieser Art abhängt, ist kein solcher, der durch die vom Senat befürwortete Auffassung geschaffen würde. Es ist dem Recht der Verfahrenskostenhilfe vielmehr immanent, dass bestimmte Vorfragen von einer ausreichenden Glaubhaftmachung abhängen.


III. Der Praxistipp
Bislang war die Frage der Berücksichtigung des Kinderfreibetrages im Rahmen des Antrages auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe bei Betreuung eines Kindes im paritätischen Wechselmodell streitig.
Der BGH folgt mit der vorliegenden Entscheidung der in der oberlandesgerichtlichen
Rechtsprechung weit überwiegend vertretenen Auffassung.
Das OLG Dresden (FamRZ 2016, 253), MüKo-ZPO/Wache, 6. Aufl. § 115 Rn 42 als auch Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 115 Rn 36 und BeckOK ZPO/Reichling [Stand 1.9.2021], § 115 Rn 33, vertreten die Auffassung, dass ein voller Abzug des Kinderfreibetrages
zu befürworten sei.
Auf die Bearbeitung von Soyka (FuR 2022, 276) wird hingewiesen und Bezug genommen,
insbesondere zu der – von Soyka kritisch behandelten – Annahme des BGH, dass sich aufgrund der Betreuung eines Kindes im paritätischen Wechselmodell dessen Lebenshaltungskosten nicht erhöhen sollen.