Uneingeschränkte Verfahrensfähigkeit des Betroffenen im Betreuungsverfahren

11. Dezember 2015

Ein Betroffener kann im Betreuungsverfahren alle Verfahrenshandlungen vornehmen, selbst wenn er nicht geschäftsfähig ist. Insbesondere kann er einen Rechtsanwalt bevollmächtigen. (BGH, Beschluss vom 30.10.2013 – XII ZB 317/13)

Der Bundesgerichtshof musste über einen Fall entscheiden, in dem das Betreuungsgericht für den Betroffenen eine (neue) Betreuerin bestellt hatte und einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet hatte. Aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs ist nicht erkennbar, mit welchen Gründen sich der Betroffene wehren wollte. Die Gründe reichen regelmäßig von der Frage, ob die medizinischen Voraussetzungen vorliegen, über die Auswahl des Betreuers bis zur Frage, ob es eine vorrangige Vorsorgevollmacht gibt. Im Fall des Bundesgerichtshofs hatte das Beschwerdegericht dem Betroffenen bereits verwehrt, seine Argumente überhaupt vorzubringen. Der Betroffene hatte einen Rechtsanwalt beauftragt, der für ihn eine Beschwerde eingelegt hatte. Das Beschwerdegericht kam auf die Idee, dass die Vollmacht des Rechtsanwalts nichtig sei. Der Betroffene sei aus der Sicht des Beschwerdegerichts geschäftsunfähig und könne daher auch keine wirksame Vollmacht erteilen. Der Bundesgerichtshof griff korrigierend ein und verwies die Sache zurück an das Beschwerdegericht. Im Betreuungsverfahren geht es unter anderem darum, ob der Betroffene geschäftsfähig ist oder wie hier unter einen Einwilligungsvorbehalt gestellt wird. Es wäre absurd, wenn dem Betroffenen die Rechtsverteidigung mit der Begründung abgeschnitten werden könnte, das Gericht gehe (bereits vor Abschluss des Verfahrens) davon aus, dass er geschäftsunfähig sei. Dieses Problem hat der Gesetzgeber gesehen und in §275 FamFG geregelt. Danach ist der Betroffene ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig. Das Beschwerdegericht wollte diese Regelung nun aushebeln, indem es meinte, der Betroffene sei zwar verfahrensfähig, aber einen Rechtsanwalt könne er trotzdem nicht bevollmächtigen. Die Vollmacht des Rechtsanwalts sei nichtig und die Beschwerde daher unzulässig. Glücklicherweise sah er Bundesgerichtshof dies anders: Die Verfahrensfähigkeit umfasse alle Befugnisse, die auch einem Geschäftsfähigen zustehen. Andernfalls würde der Betroffene als ein bloßes Objekt des Verfahrens behandelt, was gegen seine Menschenwürde verstoße. Der Bundesgerichtshof verwies das Verfahren daher ans Beschwerdegericht zurück, damit dieses nunmehr die gebotene Prüfung in der Sache vornehmen kann. Der Bundesgerichtshof musste sich noch mit einer Ansicht in der Literatur befassen, die für die Vollmachtserteilung jedenfalls einen sogenannten natürlichen Willen des Betroffenen fordert. Dieser Ansicht erteilte der Bundesgerichtshof eine Absage. Für die Praxis ist das gut, weil sich nicht fassen lässt, was genau ein natürlicher Wille sein soll und wann er vorliegt.

Ihr VorsorgeAnwalt vor Ort unterstützt Sie gern, wenn Sie mit einem solchen Fall konfrontiert werden.

Ermittlungspflicht des Gerichts bei Betreuerbestellung trotz Vorsorgevollmacht

Der Bundesgerichthof hat eine Betreuerbestellung kassiert, bei der gegen den Willen der Betroffenen und unter Missachtung einer Vorsorgevollmacht ein Berufsbetreuer anstelle des Vaters der Betroffenen zum Betreuer bestellt wurde (BGH, Beschluss vom 14.08.2013 – XII ZB 206/13). Der Bundesgerichtshof musste in seinem Beschluss vom 14.08.2013 erneut über einen Fall entscheiden, bei dem trotz einer Vorsorgevollmacht ein Berufsbetreuer bestellt worden war. Das Betreuungsrecht sorgt in verschieden Vorschriften dafür, dass nicht voreilig ein fremder Berufsbetreuer bestellt wird.

1. In §1896 Absatz 2 Satz 2 BGB steht, dass grundsätzlich kein Betreuer bestellt werden darf, wenn es eine Vorsorgevollmacht gibt.

2. Fehlt es an einer Vorsorgevollmacht, muss nach §1897 Absatz 4 BGB derjenige zum Betreuer bestellt werden, den der Betroffene vorschlägt.

3. Ein Berufsbetreuer darf zudem nach §1897 Absatz 6 BGB nur bestellt werden, wenn sich kein ehrenamtlicher Betreuer findet.

Im Fall des Bundesgerichtshofs gab es eine Vorsorgevollmacht, die Betroffene wollte, dass ihr Vater Betreuer wird und er wäre ehrenamtlich tätig geworden. Trotzdem bestellte das Amtsgericht Wernigerode einen Berufsbetreuer. Dies wurde in der Beschwerdeinstanz vom Landgericht Magdeburg gehalten. Danach ging der Fall zum Bundesgerichtshof, der ihn nun wieder zurück an das Landgericht verwies.

Über die Vorsorgevollmacht hatte sich das Betreuungsgericht mit dem Argument hinweggesetzt, es sei fraglich, ob die Vorsorgevollmacht angesichts der diagnostizierten Intelligenzminderung der Betroffenen wirksam sei. Eine ausreichende Prüfung ist dies allerdings nicht. Das Gericht müsste die Geschäftsunfähigkeit bei der Vollmachtserteilung feststellen. Es genügt nicht, dass sie nur fraglich oder möglich ist. Im Kern wurde der Vater der Betroffenen nicht als Betreuer ausgewählt, weil es das Gericht für “nicht unwahrscheinlich” hielt, dass vom Vater häusliche Gewalt gegenüber der Betroffenen verübt wurde. Falls es diese häusliche Gewalt gab, dann wäre es richtig, den Vater der Betroffenen zu übergehen. Der Bundesgerichtshof legte hierbei allerdings den Finger in die Wunde. Das Amtsgericht und das Landgericht hatten eine Amtsermittlungspflicht. Sie hatten aber nicht einmal den Vater der Betroffenen zum Vorwurf der häuslichen Gewalt angehört. Vielmehr sieht es so aus, dass die Entscheidung einfach nach Aktenlage getroffen wurde. Dieses Versäumnis darf das Landgericht Magdeburg nun nacharbeiten. Für die Betroffene bedeutet das, dass nach der Entscheidung von drei Gerichten das Verfahren wieder am Landgericht fortgesetzt wird. Denken Sie jetzt bitte einmal an Ihre persönliche Vorsorgesituation! Wie verhindern Sie, dass Ihnen auch ein solcher Leidensweg durch die Instanzen zugemutet wird? Das verhindern Sie dadurch, dass hinter dem Bevollmächtigten ein weiterer Vorsorgebevollmächtigter als Reserve bereit steht. Das kann auch ein VorsorgeAnwaltsein. Bisher sind mir keine Fälle bekannt, in denen das Gericht einen Berufsbetreuer bestellt hätte, obwohl ein VorsorgeAnwalt bevollmächtigt war.

Ein Vorsorgebevollmächtigter ist ungeeignet, wenn er sich nicht durchsetzen kann. In diesem Fall kann das Betreuungsgericht einen Berufsbetreuer bestellen (BGH, Beschluss vom 07.08.2013 – XII ZB 671/12).

Im Fall des Bundesgerichtshofs ging es um eine demenzkranke Frau, die einer Tochter eine Vorsorgevollmacht erteilt hatte. Die bevollmächtigte Tochter hatte sich um die Mutter gekümmert und die Pflege organisiert. Die demenzkranke Mutter hatte eine weitere Tochter. Dies zog später bei der Mutter ein und verdrängte die bevollmächtigte Tochter. Die störende Tochter verdrängte die bisherigen Pflegeleistungen und ersetzte sie eigenmächtig durch eigene Leistungen. Die bevollmächtigte Tochter konnte sich nicht gegen ihre Schwester durchsetzen. Dies veranlasste das Betreuungsgericht dazu, einen Berufsbetreuer zu bestellen, was später vom Bundesgerichtshof gebilligt wurde. Grundsätzlich steht eine Vorsorgevollmacht einer Betreuung entgegen (§1896 Absatz 2 Satz 2 BGB). Das gilt aber nur, solange der Bevollmächtigte geeignet ist. Ist der Bevollmächtigte ungeeignet, darf ein Betreuer bestellt werden. Bisher musste sich die Rechtsprechung vor allem mit Fällen befassen, in denen der Bevollmächtigte deshalb ungeeignet war, weil er das Vermögen des Vollmachtgebers veruntreut hatte. Dies war der bevollmächtigten Tochter hier nicht vorzuwerfen.

Der Bundesgerichtshof entschied nun aber, dass ein Vorsorgebevollmächtigter auch ungeeignet ist, wenn er sich nicht durchsetzen kann. Die bevollmächtigte Tochter hätte zum Wohl der Mutter verhindern müssen, dass die störende Tochter die Kontrolle übernimmt. Da die bevollmächtigte Tochter dies nicht konnte, übernimmt diese Aufgabe nun ein Berufsbetreuer. Die Berufsbetreuung hätte die Mutter allerdings vermutlich nicht gewollt. Wie hätten die Beteiligten die Betreuung verhindern können? Zum einen hätte die Mutter bei der Erteilung der Vorsorgevollmacht einen VorsorgeAnwalt als sogenannten Unterstützungsbevollmächtigten einsetzen können. Der Unterstützungsbevollmächtigte überwacht die Geschäftsführung des Hauptbevollmächtigten. Hier hätte der VorsorgeAnwalt das Problem erkannt und wäre der Hauptbevollmächtigten helfend zur Hand gegangen, um mit der Schwester fertig zu werden. Die bevollmächtigte Schwester hätte auch ohne die Gestaltung vermutlich die Angelegenheit noch retten können, wenn sie einen VorsorgeAnwalt aufgesucht hätte. Dieser hätte ihr als Rechtsanwalt dabei geholfen, sich gegenüber der störenden Schwester durchzusetzen. Dann hätte das Betreuungsgericht keinen Berufsbetreuer bestellen können.